Gott ist fähig

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Liebe Gemeinde,

die Geschichte Abrahams aus dem Alten Testament – wie wir sie im Theaterstück eben gesehen haben - wird im Neuen Testament mehrfach aufgegriffen. Am bekanntesten ist dabei wohl die Stelle im Römerbrief Kapitel 4. Dort heißt es: „Abraham hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, dass er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist: ‚so zahlreich sollen deine Nachkommen sein.‘ Und er wurde nicht schwach im Glauben, als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara. Denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste auf das allergewisseste: was Gott verheißen hat, das kann er auch tun. Darum ist es ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden. Dass es ihm aber zugerechnet worden ist,  ist aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, sondern auch um unseretwillen, denen es zugerechnet werden soll, wenn wir glauben an den, der unseren Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten, welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt.“ (Röm  4,18-25)

„Was Gott verhießen hat, das kann er auch tun.“ Dieser Satz ist für mich der herausforderndste Satz  in diesem Text aus dem Römerbrief. Gilt dieser Satz auch heute noch? „Was Gott verheißen hat, das kann er auch tun?“

Ich war in den Sommerferien zum siebten Mal in der Nähe von Chicago, um die Willow Creek Community Church zu besuchen. Willow Creek ist mit 25000 Gottesdienstbesuchern an einem Wochenende eine der fünf größten Kirchengemeinden der USA und mit dem jährlich im August stattfindenden Leitungskongress, der in über 100 Länder übertragen wird, eine der einflussreichsten Einzelkirchengemeinden der Welt. Der Hauptgrund, warum ich so oft dorthin geflogen bin, liegt in der Person des Hauptpastors dieser Gemeinde, Bill Hybels. Bill Hybels ist für mich ein moderner Abraham. Bei einem der Leitungskongresse, die ich besucht habe, hat er gesagt: „Wenn Gott versprochen hat, dass er aufkreuzen wird, dann wird er es tun!“[1] Bill Hybels hat diesen Satz nicht einfach so dahin gesagt, sondern hat das in seinem Leben selber erfahren. Als er 23 Jahre alt war, hatte er das ganz starke innere Gefühl, dass Gott von ihm will, dass er eine Gemeinde gründen soll. Mit einigen Freunden mietete er sonntags morgens  zur Feier der Gottesdienste ein Kino. Das Kino hatte den Namen Willow Creek Movie Theater. Und in Anlehnung an den Namen des Kinos gab man der Gemeinde den Namen Willow Creek Community Church und behielt diesen Namen auch bei, als man sechs Jahre später in eigene Räumlichkeiten zog. In den ersten drei Jahren hat Bill Hybels ohne Gehalt für die Gemeinde gearbeitet. Die Kollekte, die am Ende der Gottesdienste eingesammelt wurde und die wenigen Spenden, die die Gemeinde bekam, reichten nicht aus, um einen Pastor zu bezahlen. Um sich finanziell über Wasser zu halten, jobbte Bill Hybels nachts auf dem Gemüsegroßmarkt von Chicago. Seine Frau gab Flötenunterricht. Das Geld, das sie für diese beiden Jobs erhielten, reichte nicht aus, um sich finanziell über Wasser zu halten. Aber sie erlebten, wie Gott sie versorgte – durch andere Menschen. Immer wieder stand eine Tüte mit Lebensmitteln vor ihrer Tür. Andere Menschen schenkten ihnen gebrauchte Möbel, ohne die ihre Mietwohnung praktisch leer gewesen wäre. Bill Hybels schreibt in einem seiner Bücher im Rückblick auf diese Zeit: „In diesen kargen Anfangsjahren erlebte ich Gott als vollkommen wunderbar, absolut treu und zu seinen Verheißungen stehend.“[2]

Ein zweites Beispiel: Am 22. September 2016 haben die Verantwortlichen des Gebetshauses Augsburg eine Meldung veröffentlicht, wonach das Gebetshaus deutlich vergrößert werden soll. Auf dem Gelände, das zum Gebetshaus jetzt schon dazugehört, soll ein Gästetrakt gebaut werden und eine Kapelle. Gegenüber ist ihnen ein 6000 qm großes Grundstück angeboten worden, das sie jetzt kaufen wollen und auf dem eine Eventhalle entstehen soll mit Platz für 1000 Personen. Finanziert werden soll das Ganze ausschließlich durch Spenden. 5000 Menschen werden gesucht, die mindestens 1000 € spenden.[3] An dieser Stelle könnte man laut loslachen, so wie der fast 100 jährige Abraham gelacht hat, als Gott ihm sagte, dass er von der 90 jährigen Sara einen Sohn bekommen soll. (1. Mose 17,17) Wenn man sich die Geschichte des Gebetshauses Augsburg aber ein wenig näher anschaut, dann erscheint es vielleicht doch nicht so ganz unmöglich, dass sich die Pläne verwirklichen lassen. In einem kleinen Raum der kleinen Wohnung des Ehepaars Jutta und Johannes Hartl liegen die Anfänge. Johannes Hartl hat täglich drei Stunden gebetet, dann hat seine Frau Jutta ihn abgelöst  und hat eine Stunde gebetet. Und schließlich wurde Jutta Hartl von einer Freundin abgelöst, die dann ebenfalls eine Stunde gebetet hat.[4] Als später mehr Menschen mitgemacht haben, haben sie ein Ladenlokal gemietet und dann ein ehemaliges Fitnessstudio gekauft, das sie zu einem Gebetshaus umgebaut haben. Für den Kauf und den Umbau des Gebäudes haben sie damals 400 Personen gesucht, die mindestens 1000 € spendeten – und sie haben sie gefunden. Alle Rechnungen wurden cash bezahlt.[5] Gott ist fähig! „Gott aber kann viel mehr tun, als wir jemals von ihm erbitten oder uns auch nur vorstellen können. So groß ist seine Kraft, die in uns wirkt“, heißt es in der Bibel in Eph 3,20. Gott kann durch dich und durch mich Dinge tun, an die wir jetzt noch gar nicht zu denken vermögen. Aber es wird immer wieder auch Durststrecken geben, Zeiten, in denen wir leiden und unser Kreuz tragen müssen. Auch Johannes Hartl, Bill Hybels und auch Abraham hatten solche Durststrecken durchzustehen. Abraham musste darüber hinaus mit Zweifeln und moralischer Unzulänglichkeit fertig werden. Als Gott ihm sagte, dass er von Sara einen Sohn bekommen soll, hat er gelacht, wodurch Zweifel zum Ausdruck kommt. Und seinen ersten Sohn hat er nicht von seiner Frau Sara, sondern von deren Magd Hagar. (1. Mose 16) Es fällt auf, dass der Römerbrief die Zweifel Abrahams und seine Affäre mit Hagar mit keiner Silbe erwähnt. Warum erwähnt der Römerbrief Hagar und die Zweifel Abrahams nicht? Die vermutliche Antwort lautet: Weil der Römerbrief die Geschichte Abrahams nicht so erzählt, wie sie die Leute erzählen würden. Weil der Römerbrief die Geschichte Abrahams nicht so erzählt, wie sie die Boulevard-Presse erzählen würde. Der Römerbrief erzählt die Geschichte Abrahams aus der Sicht von Gnade. Für die Boulevard-Presse wäre es ein gefundenes Fressen: Der Vater des Glaubens hat Zweifel. Der Vater des Glaubens geht fremd. Und der soll auserwählt sein?  Das geht doch wohl gar nicht. Aber die Erwählung Gottes geschah und geschieht oft „nach anderen Maßstäben als die Welt zu urteilen gewohnt ist. Und darin lag und liegt die Chance“[6]– auch für dich und für mich. Was Gott für Abraham getan hat – warum sollte er  das nicht auch für dich tun können? Scheint es, dass du zu alt für eine bestimmte Aufgabe bist, oder zu jung? Scheint es, dass du einer Aufgabe nicht gewachsen bist? Scheint es, dass Gott dich allein gelassen hat? Er hat dich nicht allein gelassen. Hilfreich wäre allerdings eine positive Beantwortung der Frage: Bist Du für Gott verfügbar? Betest Du? Hast Du deine inneren Ohren auf Empfang gestellt, so dass du „hören“ kannst, was Gott dir zuflüstert? Liest Du zumindest ab und zu in der Bibel, so dass Du die Richtung erkennen kannst, in die Gott die Menschen führen will? Gehst du zumindest ab und zu in einen Gottesdienst? Wenn du wenigstens eine dieser Fragen mit ja beantworten kannst, dann ist Gott noch nicht mit dir fertig. Schau in dein Inneres. Was sind deine tiefsten Träume? Was ist das, was Gott von dir getan haben möchte? Vielleicht hast du darüber  irgendwann schon mal nachgedacht und hast es wieder ad acta gelegt, es sozusagen begraben. Weil  dir die Verwirklichung als zu schwer vorkommt. Wenn dem so ist, dann hol es wieder ans Tageslicht. Denn Gott ist fähig. Und weil Gott fähig ist, hast du das Recht größer zu träumen und leidenschaftlicher zu leben.[7] Ich halte es für sehr wichtig, dass man als Christ seinen Glauben leidenschaftlich lebt. Ein christliches Leben ohne Leidenschaft, ist wie der Versuch einen Mercedes zu fahren, ohne dass Sprit im Tank ist. Christine Caine, eine aus Australien stammende Evangelistin, hat einmal von einem Besuch einer Kirche in Australien erzählt. Sie hat Eintritt bezahlt, dass sie den Kirchturm hoch klettern und von oben die schöne Aussicht genießen konnte. Aber das war das einzige, wofür diese Kirche noch benutzt wurde – als Touristenattraktion. Gottesdienste wurden in dieser Kirche nicht mehr gefeiert.  Christine Caine hat sich gefragt, warum das so ist. Und die Antwort, die ihr in den Sinn kam, war, dass die Christen dort am Leidenschaftsdefizitsyndrom litten und offenbar noch leiden.[8] Ohne Leidenschaft werden wir höchstens Otto-Normalo-Träume verwirklichen können. Mit Leidenschaft kommen wir den großen Träumen Gottes für unser Leben näher. Ein „normaler“ Traum für einen jungen Menschen wäre z.B. mit einer netten Person eine Beziehung einzugehen. Ein großer Traum Gottes in dieser Richtung wäre, eines Tages eine Familie zu gründen, in der Gott die Ehre gegeben wird. Seit ich im jugendlichen Alter war, hab ich mich danach gesehnt. Es hat bei mir ziemlich lange gedauert, bis dieser Traum Wirklichkeit wurde. Ich war zwar noch nicht so alt wie Abraham, aber ich war immerhin 41, als ich geheiratet habe und 45, als ich Vater wurde. Wir brauchen oft Geduld. Es geht nicht alles ruckzuck. Und es gibt immer wieder Durststrecken, in denen wir leiden und unser Kreuz zu tragen haben. Aber sag mir – warum sollten deine nächsten fünf Jahre nicht deine bisher besten Jahre werden? Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem Jahr tun könnten. Aber sie unterschätzen, was sie in fünf Jahren tun könnten – vor allem dann, wenn man in diesen fünf Jahren seinen Glauben mit Leidenschaft lebt. Halten wir an unseren tiefsten Träumen fest, halten wir fest an den großen Träumen Gottes für unser Leben, die die Bibel Verheißung nennt. Trachten wir zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann wird er uns an Orte führen, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Dann wird er für uns sorgen, wie für die Lilien auf dem Feld. Denn Gott ist fähig! Amen.



[1] Am 10. August 2012 beim Global Leadership Summit der Willow Creek Association in South Barrington im Anschluss an den Vortrag „Leading through the anguish of tough decisions“ von Mario Vega.

[2] Bill Hybels, Mutig führen. Navigationshilfen für Leiter, Asslar, 6. Aufl. 2010, 118.

[3] Vgl. http://mission-campus.de/ (aufgerufen am 10.10.2016)

[4] Vgl. Johannes Hartl, in meinem Herzen Feuer. Meine aufregende Reise ins Gebet, 3. Aufl. 2014, 132.

[5] Vgl. ebd. 184f.

[6] Hermann Spieckermann, Juda unter Assur in der Sargonidenzeit, Göttingen 1982, 381.

[7] Carl Lentz, God is able. Vortrag bei „Code Red“, dem Vorprogramm der „Holy Spirit Night“ am 28. 09.2013 in Stuttgart.

[8] Christine Caine, Leidenschaftlich leben. Vortrag beim Willow Creek Leitungskongress „Fokus“ am 26.01.2012 in Stuttgart.