Jesus ist Sieger! - Johann Christoph Blumhardt und die Kraft des Gebets

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Liebe Gemeinde,

im Jahr 1838 tritt ein junger, 33 jähriger Pfarrer namens Johann Christoph Blumhardt eine Pfarrstelle in dem kleinen Ort Möttlingen in Württemberg an. Zwei Jahre später ziehen in diesem Ort die  Geschwister Gottliebin, Anna Maria, Katharina und Hans-Jörg Dittus in ein Haus ein, das heute Gottliebin-Dittus-Haus genannt wird und ein Museum beherbergt. Die vier Geschwister sind zu diesem Zeitpunkt zwischen 25 und 35 Jahre alt und ledig. Sie haben noch einen älteren, verheirateten Bruder. Die Eltern der vier jungen Leute sind ebenso bereits verstorben wie einige weitere Geschwister. Die vier leben in diesem Haus in bedrückender Armut. Darüber hinaus scheint es in diesem Haus zu spuken. „Unerklärliches Gepolter und Geschlurfe im Haus“[1] beunruhigt die Geschwister. Gottliebin Dittus sieht nachts Lichter und Gestalten, darunter eine im Jahr 1840 verstorbene Frau, die vorher in dem Haus gewohnt hat. Pfarrer Blumhardt, der sie besucht, sieht sie nicht an. Er erfährt auch zunächst nichts von den seltsamen Vorgängen, weil die Geschwister die Sache weitgehend geheim halten. Im April 1842 erfährt Pfarrer Blumhardt aber von den Vorgängen durch Verwandte der Geschwister, weil die Poltergeräusche mittlerweile so stark geworden sind, dass sie sich nicht mehr verheimlichen lassen. Die Spukvorgänge im Haus und die körperlichen Symptome bei Gottliebin verstärken sich derart, dass Pfarrer Blumhardt sich genötigt sieht, eine Kommission zu berufen, die der Sache nachgeht. Zusammen mit dem Bürgermeister und einigen Gemeinderäten führt Blumhardt eine Inspektion durch. Die Kommission hört mehrfach laute, aber unerklärliche Geräusche. Man beschließt, Gottliebin Dittus in einem anderen Haus unterzubringen. Der Polterspuk erweist sich aber nicht als orts-, sondern als personengebunden und setzt sich auch in der neuen Unterkunft fort.[2] Blumhardt besucht Gottliebin bei schweren Anfällen, insbesondere wenn er gerufen wird. Aber er meint zu diesem Zeitpunkt noch, dass dies für ihn keine besondere Aufgabe als Seelsorger sei. Als Gottliebin wieder einmal von heftigen Krämpfen geschüttelt wird, ist der anwesende Arzt Dr. Späth mit seinem Latein am Ende und sagt unter Tränen: „Man könnte meinen, es sei gar kein Seelsorger am Ort, dass man die Kranke so liegen lässt; das ist nichts Natürliches.“ Blumhardt fühlt sich jetzt herausgefordert, zumal ein durchreisender Herrnhuter Prediger ihn ermahnt: „Vergiss deine Schuldigkeit nicht als Seelsorger.“ In den nächsten eineinhalb Jahren besucht Blumhardt Gottliebin Dittus immer wieder und betet für sie.[3] Es ereignet sich kein Exorzismus, sondern seelsorgerliche Begleitung. Langsam aber sicher scheint es mit Gottliebin besser zu werden. Da werden der Bruder Hans-Jörg und besonders die Schwester Katharina von einem angeblichen Satansengel heimgesucht. In einer Nacht kurz vor Weihnachten 1843 kommt es zum Finale. Alles, was früher geschah, schien sich auf diese eine Nacht zusammenzudrängen. Katharina wird über Stunden innerlich geschüttelt. Aus der jungen Frau kommen laute herzzerreißende Schreie. Und dann gegen 2 Uhr am Morgen brüllt der angebliche Satansengel aus dem Mund von Katharina mehrfach den Satz. „Jesus ist Sieger! Jesus ist Sieger!“ Die Macht des Satansengels schien ab diesem Zeitpunkt gebrochen. Zwar machte er sich noch ein paar Stunden einige Male bemerkbar. Doch um 8 Uhr am Morgen war er verschwunden. Katharina, Hans-Jörg und Gottliebin werden gesund. Der zweijährige Kampf war zu Ende. Anschließend kommt es in dem Ort Möttlingen zu einer Erweckung. Der Schrei aus Katharina ist auch außerhalb des Hauses vernommen worden. Das halbe Dorf hat ihn gehört: Jesus ist Sieger! Man spricht wenig darüber. Aber ein Erstaunen und Erzittern geht durch den Ort. Die Konfirmanden schicken Pfarrer Blumhardt vereinzelt Briefe mit Sündenbekenntnissen. Dann treffen sie sich zu Erbauungsstunden, bei denen einer die Leitung übernimmt.[4] Kurz darauf kommt ein Mann aus der Gemeinde zu Blumhardt und fragt ihn, ob ihm vergeben und er selig werden könne. Blumhardt ist sich unsicher, ob dieser in der Kirche seltene Gast ihn auf den Arm nehmen will. Deshalb fordert er ihn auf, etwas konkreter zu werden. Der Gast zögert. Aber sein verstörter Eindruck bewegt Blumhardt dazu, ihm die Hand aufzulegen und einige Segensworte zu sprechen. Am nächsten Tag kommt der Mann völlig verängstigt wieder. Er bekennt seine Sünden und bittet Blumhardt, ihm zu vergeben. Blumhardt schreibt: „Ich tat es unter Handauflegung und als er von den Knien aufstand, glänzte sein gänzlich verändertes Gesicht vor Freude und Dank.“[5] Der Mann erzählt im Ort seine Geschichte mit der Folge, dass unzählige Menschen zu Blumhardt zur Beichte kommen, auch aus anderen Orten. Seine Gottesdienste sonntags sind überfüllt. Immer wieder geschehen Heilungen.[6] Aber es kommt auch vor, dass Blumhardts Gebete scheinbar nichts bewegen. Das hindert aber nicht daran, dass Möttlingen und Blumhardt im Gespräch sind, positiv als auch negativ. Als die Besuche aus anderen Orten immer zahlreicher werden – sowohl in den Gottesdiensten als auch zu den Einzel- und Beichtgesprächen, erfreut das die Pfarrer der umliegenden Gemeinden nicht. Die Kirchenleitung untersagt ihm daraufhin, Fremde in seinem Pfarrhaus zu empfangen. Körperliche Krankheiten sollen in Seelsorgegesprächen keine Rolle mehr spielen. Durch die Verbote fühlt sich Blumhardt verkannt und in seiner geistlichen Wirksamkeit gehemmt. „Ist es wirklich untersagt, an die Kraft des Gebets auch bei körperlichen Heilungen zu glauben“, fragt Blumhardt seinen vorgesetzten Dekan mit dem Hinweis auf entsprechende Aussagen aus der Bibel.[7] Die Einschränkungen führen dazu, dass Blumhardt nach einer neuen Wirkungsstätte sucht. Irgendwann kommt er zu dem Schluss, dass es keine neue Gemeindepfarrstelle mehr sein soll. Als im Jahr 1852 das Bad Boll zum Verkauf ansteht, kauft es Blumhardt mit Hilfe vermögender Freunde für 25000 Gulden. Die Kirchenleitung gewährt ihm, dort Gottesdienste zu feiern, das Abendmahl zu leiten und Konfirmanden zu unterrichten. Hier kann er sich nun allen seelisch und körperlich Leidenden widmen, die ihn aufsuchen, ohne das Band zur Landeskirche zu zerschneiden.

An Johann Christoph Blumhardt scheiden sich die Geister. Dies wird an dem Urteil zweier evangelischer Theologen deutlich, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Im Jahr 1988 schrieb der Schweizer Walter Nigg, dass Blumhardt ein „evangelischer Heiliger“ gewesen sei.[8] Rudolf Bultmann, der Begründer des sog. Entmythologisierungsprogramms, der ganze Generationen von Theologen geprägt hat, schrieb 1948, dass ihm die „Blumhardtschen Geschichten ein Gräuel“ sind.[9] Sieben Jahre vorher, als er sein Entmythologisierungsprogramm vorstellte, sagte er: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“[10] In jüngster Vergangenheit scheint allerdings eine Trendwende in der neutestamentlichen Wissenschaft eingeläutet worden zu sein. In dem 2013 erschienen „Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen heißt es: „Man darf sich wieder wundern.“[11] Die neutestamentlichen Wunder werden nicht mehr von vorneherein als unglaubwürdig abgetan. Fakt ist aber auch, dass solche Erlebnisse bei uns nicht gerade an der Tagesordnung sind. Es stellt sich deshalb die Frage, was wir für uns aus der Geschichte Blumhardts mitnehmen können. Mir fällt auf, dass Blumhardt sehr lange, fast zwei Jahre für eine Frau und zum Schluss auch für zwei ihrer Geschwister gebetet und sie seelsorgerlich begleitet hat, bevor es zu einem sichtbaren Erfolg kam. Als dann aber der Durchbruch geschafft war, geschahen Heilungen bei anderen Personen teilweise nach einem kurzen Gebet. Ähnliches beschreibt der 1997 verstorbene Vineyard-Pastor John Wimber, der lange Zeit ohne sichtbaren Erfolg für kranke Menschen aus seiner Gemeinde gebetet hat, bis es zu einem Durchbruch kam[12] und Heilungen dann oft nach nur einem Gebet geschehen sind.[13] Dies erinnert mich an die Geschichte aus dem Buch Daniel, Kapitel 10, die wir im Theater-Stück gesehen haben. Daniel betet, aber die Hilfe lässt auf sich warten, weil ein böser Engel den guten Engel, der Daniel zu Hilfe kommen will, eine Zeitlang davon abhält. Das Gebet hält an und ein weiterer guter Engel kommt zu Hilfe, hält den bösen Engel in Schach, so dass der erste gute Engel zu Daniel kommen kann.

Geben wir mit unseren Gebeten also nicht zu früh auf. Bleiben wir dran. Wer weiß, was unsere Gebete in der geistigen Welt bewirken.

Noch ein letzter Gedanke: Nach dem Tod von Johann Christoph Blumhardt setzt sein Sohn Christoph jr. das Werk seines Vaters in Bad Boll fort. Noch immer kamen viele Menschen, um in Bad Boll Heilung zu suchen. Blumhardt jr. setzte jedoch einen anderen Akzent als sein Vater, wohl auch, weil ihm das Heilungs-Charisma seines Vaters fehlte. Er sagte: „Besinne dich, ob du recht isst und trinkst. Das fordert Gott als dein Werk für den Leib. Besinne dich, ob du recht schläfst und genügend. Das fordert Gott auch für dein Nerven- und Sinnenleben. Besinne dich, ob du richtig arbeitest. Das fordert Gott für deine Seele. Eine gesunde Seele kommt nur durch gesunde Arbeit. Diese ist gleichsam die Speise der Seele. Wer also betet und Gottes Hilfe will, der achte auf solches!“[14]

Das sollten wir uns auch zu Herzen nehmen! Amen.



[1] Dieter Ising, Johann Christoph Blumhardt. Leben und Werk, Göttingen 2002, 149.

[2] Ebd., 152.

[3] Zeitweise unterstützt Blumhardt das Beten mit Fasten „und stellt fest, dadurch werde die Kraft seines Bittens verstärkt. Ruhiger und bestimmter kann er nun auftreten, wenn er von Gottliebin zu Hilfe gerufen wird. Nicht die geringste Beeinträchtigung seiner Gesundheit sei zu spüren.“ Vgl. Ising, 165.

[4] Ebd., 170.

[5] Ebd.., 171.

[6] Vgl. Ising, 181ff. Auch später in Bad Boll geschehen Heilungen. Vgl. Ising, 280ff.

[7] Ebd., 241.

[8] https://begegnung-online.de/images/seb/ausgabe_pdf/402/begegnung-und-gespraech-nr-872.pdf

[9] Rudolf Bultmann, Zu J. Schniewinds Thesen, das Problem der Entmythologisierung betreffend, in: Hans-Werner Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos I. Ein theologisches Gespräch, Hamburg, 3. Aufl. 1954, 136

[10] Rudolf Bultmann, Neues Testament und Mythologie, in: Kerygma und Mythos I, 18.

[11] Ruben Zimmermann, Prolog: Wunder sind „in“ … oder: Die bleibende Faszination des Wunders, in: Ruben Zimmermann u.a. (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen. Band 1: Die Wunder Jesu, Gütersloh, 2. Aufl. 2021, 12.

[12] John Wimber und Kevin Springer, Heilung in der Kraft des Geistes, Remscheid, 2. Aufl. 2010, 60f.

[13] Vgl. z.B. Carol Wimber, Hunger nach Gott, in: John Wimber und Kevin Springer Hg.), Die dritte Welle des Heiligen Geistes, Hochheim 1988, 40 und Marlin Watling, natürlich übernatürlich. Die Geschichte der Vineyard-Bewegung, Witten 2008, 72f. Allerdings gab es auch Gebete, nach denen die Person, für die gebetet wurde, nicht körperlich geheilt wurde. Vgl. Wimber, Springer, Heilung in der Kraft des Geistes, 8-13.

[14] Zitiert in: Albrecht Esche, Reich Gottes in Bad Boll. Religion, Kultur und Politik bei Johann Christoph Blumhardt und Christoph Blumhardt, Bad Boll, 4, Auflage 2016, 82. Zu Christoph Blumhardt vgl. ferner: Jörg Hübner, Christoph Blumhardt. Prediger, Politiker, Pazifist. Eine Biographie, Leipzig 2019.