Das Abenteuer, nach dem du dich sehnst
Liebe Gemeinde![1]
Am 14. August 1980 trat ein Mann aus dem Boot der Sicherheit heraus und ging im übertragenen Sinn übers Wasser. Zunächst kannte die Euphorie keine Grenzen. Die Welt schaute auf ihn, sein Land und die Bewegung, die er anführte. Es war atemberaubend, was in den nächsten 16 Monaten geschah. Doch dann drohten er und seine Bewegung unterzugehen. Stürme peitschten ihm und seinen Leuten ins Gesicht. Er wurde verhaftet und seine Bewegung verboten. Was ihm in dieser Situation u.a. half, innerlich nicht zu zerbrechen, waren die internationalen Preise, die ihm für die Jahre 1982 und 1983 zugesprochen worden waren. Zur Entgegennahme seiner höchsten Auszeichnung, des Friedensnobelpreises für das Jahr 1983, schickte er seine Frau und seinen ältesten Sohn, denn er fürchtete nicht wieder in sein Land zurückkehren zu dürfen, wenn er selber zur Entgegennahme des Preises nach Oslo reisen würde. Er brauchte in dieser Phase seines Lebens viel Geduld. Und er sah auf Jesus, denn er war und ist ein gläubiger Mann. In den Wendejahren 1989 und 1990 erlebte er dann, wie Jesus das, was wir ihm im Vertrauen auf ihn geben, vermehren, multiplizieren, ja potenzieren kann. Der Mann, von dem ich spreche, heißt Lech Walesa. Er war der Anführer der im August 1980 gegründeten und im Dezember 1981 verbotenen Gewerkschaft Solidarität, der ersten freien Gewerkschaft im Ostblock. Am 9. Dezember 1990 wurde Lech Walesa der erste frei gewählte Präsident Polens in der nachsozialistischen Zeit.[2]
Wir haben eben am Ende des Theaterstücks den wohl ungewöhnlichsten in der Bibel beschriebenen Spaziergang gesehen. Petrus, ein gewöhnlicher Mensch, läuft übers Wasser. Für uns kann dieser Wasserlauf des Petrus ein Bild für etwas sein, das wir aus eigener Kraft niemals schaffen würden, was aber mit Gottes Hilfe möglich wird. Wie kommt es zu einem solchen Ereignis? Am Anfang steht immer eine Berufung. Gott beruft ganz gewöhnlich Menschen wie Sie oder mich oder den Elektriker Lech Walesa, der weder studiert noch das Abitur gemacht hat – Gott beruft ganz gewöhnliche Menschen, einen außergewöhnlichen Glaubensschritt zu tun: Raus aus dem Boot!
Bevor Petrus das Boot verlässt, gibt es in der Geschichte in der Bibel ein wichtiges Detail: Als Jesus sich auf dem Wasser gehend dem Boot mit den Jüngern nähert, glauben die Jünger zunächst, es sei ein Gespenst. Dies ist tröstlich zu wissen. Auch die Jünger hatten Zweifel. Wenn sich uns heute Jesus nähert, dann können auch wir Zweifel haben, dann kann es passieren, dass auch wir glauben, wir sehen Gespenster. Wie nähert sich uns Jesus heute? Ich glaube, er nähert sich uns heute nicht zuletzt dadurch, dass er uns etwas zuflüstert, dass er uns ins Gewissen redet, uns bestimmte Gedanken denken lässt, dass er uns einen Auftrag gibt, etwas Bestimmtes zu tun. Petrus in unserer Geschichte tut etwas, was auch wir tun können, was wir im Gebet tun können. Er fragt bei Jesus nach: „Herr, wenn Du es bist, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.“ (Mt 14, 28) Es geht bei dem Wasserlauf des Petrus nicht um das Abenteuer an sich, den Adrenalinkick an sich. Es geht nicht um Bungeespringen oder Achterbahnfahren. Jesus sollte unser Abenteuer für eine gute Idee halten. Petrus bekommt eine deutliche Antwort. Jesus sagt zu ihm: „Komm her.“ Eine solch deutliche, akustisch hörbare Antwort werden wir von Jesus wahrscheinlich nicht bekommen. Aber wir können uns an die Antwort herantasten. Und zwar, indem wir uns folgende drei Fragen stellen: 1) Wäre das, von dem wir glauben, dass es Jesus von uns getan haben möchte, eine gute Sache für Jesus bzw. Gott? 2) Würden wir damit anderen Menschen, insbesondere anderen Menschen in Not in irgendeiner Form helfen? 3) Macht es sonst schon jemand? - Wenn wir die ersten beiden Fragen mit „Ja“ beantworten können und die dritte mit „Nein“, dann – so glaube ich – sollten wir das Boot verlassen und auf Jesus zugehen.
Lassen Sie mich Ihnen an dieser Stelle zwei wichtige Fragen stellen: 1) Was ist Ihr Boot? Was ist Ihr Boot der Sicherheit, vielleicht der vermeintlichen Sicherheit, der falschen Sicherheit an dem Sie sich festklammern, worauf Sie Ihr Vertrauen setzen? 2) Was würde es für Sie konkret bedeuten, das Boot zu verlassen?
Mein Boot war vor fünf Jahren der gewohnte Alltag. Ich hatte beruflich und privat weitgehend erreicht, was ich erreichen wollte. Der Tod meiner Mutter führte mir damals in besonderer Weise meine eigene Endlichkeit vor Augen. Und ich brauchte irgendetwas, was mir eine zusätzliche Dimension an Sinn geben würde. Unser damaliger Schulleiter, mit dem ich in engem Austausch stand und dem ich von GoSpecial-Gottesdiensten erzählt hatte, die ich in der Andreaskirchengemeinde Niederhöchstadt bei Frankfurt kennengelernt hatte, motivierte mich, selber mit Schülern solche GoSpecial-Gottesdienste durchzuführen. Als ich damit anfing und somit aus meinem Boot der Sicherheit ausstieg, gab es Probleme. Es hat nicht jedem gefallen. Und es gibt bis heute Probleme. Aber auf der anderen Seite habe ich Dinge erlebt, die mich tief befriedigt haben, die meinen Durst nach der zusätzlichen Dimension von Sinn punktuell gestillt haben. Nach einem GoSpecial kam eine Schülerin mit Tränen in den Augen zu mir und sagte mir: „Herr Nilius, ich bin so froh, dass ich mit meiner Mutter hierher gekommen bin. Die hat das gebraucht.“ Und vor wenigen Monaten, kurz vor den Sommerferien bekam ich aus dem Landeskirchenamt in Düsseldorf ein Schreiben, indem drin stand, dass unser GoSpecial-Projekt neben einigen anderen als Modellprojekt der Evangelischen Kirche im Rheinland für das Jahr 2015 ausgewählt wurde in Bezug auf die Leitvorstellung der Evangelischen Kirche im Rheinland, nämlich missionarisch Volkskirche sein zu wollen. Es soll eine Broschüre entstehen, in der auch unser GoSpecial-Projekt vorgestellt wird, so dass sich interessierte Personen darüber informieren können. Das hat mir natürlich gut getan. Das war für mich schon ein wenig wie Laufen übers Wasser.
Was ist Ihr Boot? Und was würde es für Sie ganz konkret bedeuten aus dem Boot auszusteigen? In welchem Bereich Ihres Lebens möchte Jesus, dass Sie ihm voll und ganz vertrauen? Wenn Sie aus dem Boot aussteigen, werden Ihnen wahrscheinlich Wind und Wellen entgegenschlagen. Aber wenn Sie im Boot sitzen bleiben, werden Sie von Wind und Wellen wahrscheinlich nicht verschont bleiben. Dann kommen Wind und Wellen vielleicht in Form von Sinnlosigkeit und Langeweile. „Habe Langweile“, wie oft hab ich das auf facebook schon gelesen. Wenn Sie aus dem Boot aussteigen, werden Sie keine Langeweile mehr haben. Wenn Sie tun, was Jesus von Ihnen getan haben möchte, wenn Sie Jesus das geben, was Sie haben, dann kann es passieren, dass er es vermehrt, multipliziert oder gar potenziert. Dann kann er mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Menschen satt machen, dann kann er aus einem einfachen Elektriker den Anführer einer Bewegung machen, ohne die der Fall der Mauer in Berlin, der sich in wenigen Tagen zum 25. Mal jährt, wahrscheinlich nicht vorstellbar ist. Aber alles beginnt mit einem ersten Schritt. In unserer Geschichte mit dem Schritt aus dem Boot.
Jesus sucht immer noch Menschen, die die Bequemlichkeit des Bootes verlassen. Ich weiß nicht, was das für Sie konkret bedeutet. Aber wenn Sie aus dem Boot steigen – was immer Ihr Boot ist – dann bekommen Sie sicher einige Probleme. Draußen tobt der Sturm und Ihr Glaube ist wahrscheinlich ebenso wenig wie meiner vollkommen. Aber unsere Geschichte enthält zwei ermutigende, herausfordernde Verheißungen: 1) Wenn Sie aus dem Boot steigen, wird Jesus da sein. Er wird Sie hochziehen, wenn Sie unterzugehen drohen. 2) Sie werden immer mal wieder einige wunderschöne, Lebensfreude mit sich bringende, sinnstiftende Schritte auf dem Wasser tun. Wenn Sie übers Wasser gehen wollen, dann müssen Sie aus dem Boot steigen. Amen.