Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt

Liebe Gemeinde[1],

 

im Mai 2013 und im Mai 2014 war ich jeweils auf einer großen Konferenz der anglikanischen Kirche in London.[2] Ich bin dorthin gefahren, um mir bekannte Redner live zu hören: Bill Hybels, Rick Warren. Justin Welby, Nicky Gumbel u.a. Am meisten berührt hat mich jedoch ein Mann, der auf der Rednerliste gar nicht draufstand: Ein gewisser Shane Taylor.[3] Shane Taylor erzählte, dass er in einem heruntergekommenen Hochhausviertel groß wurde. Schon als Kind hat er Gewalterfahrungen machen müssen. Als er größer wurde, wollte er sich selber einen gewissen Ruf erwerben. Da gab es einen Typen, der andere fertig gemacht hat, der wurde zu seinem Idol. Shane Taylor hat Türen eingetreten und Menschen zusammengeschlagen. Die, die ihn früher gehänselt hatten, sollten Angst vor ihm haben. „Willst Du ins Gefängnis“, fragte ihn eines Tages einer seiner wenigen verbliebenen Freunde. Zu diesem Zeitpunkt, so erzählte Shane Taylor, gab es in seinem Leben keinerlei Liebe mehr. Und auch keinen Glanz. Ja, er kam ins Gefängnis. Er hat einen Mann zusammengeschlagen und hat ihn erstochen. Im Gefängnis beging er einen zweiten Mord. Diesmal an einem Wärter. Shane Taylor galt damals als einer der gefährlichsten Gefängnisinsassen von ganz England. Er kam in einen Hochsicherheitstrakt. Worauf hofft ein Mann wie Shane Taylor in so einer Situation? Worauf wartet ein Mann wie Shane Taylor in so einer Situation. Wahrscheinlich nicht auf einen Mann, der ihm von Jesus erzählt. Aber genau so eine Person gab es im Hochsicherheitstrakt. Ein Mann, der Shane Taylor und andere Gefangene ehrenamtlich besuchte. Eines Tages schob dieser Mann eine Broschüre unter der Zellentür von Shane hindurch. Die Broschüre hatte die Aufschrift: Wieso Jesus? Shane dachte nur: „Was für ein Spinner.“ Aber der Mann schaffte es, dass Shane Taylor an einem Alpha-Glaubenskurs teilnahm. Der Alpha-Kurs wurde von der Gemeinde in England, die diese jährlichen Konferenzen im Mai durchführt, entwickelt. Bei einem Alpha-Kurs trifft man sich ca. 12 Wochen lang einmal pro Woche, um über bestimmte Fragen des christlichen Glaubens sich auszutauschen. Mittlerweile wird der Alpha-Kurs auch in vielen Gefängnissen von Gefängnisseelsorgern durchgeführt. Shane Taylor nahm also an einem Alpha-Kurs teil. Nach einigen Wochen haben der Gefängnispfarrer und einige andere Leute im Gefängnis für Shane gebetet. Aber nichts passierte. Dann forderte der Pfarrer Shane auf, er solle selbst einmal beten. Und Shane betete: „Jesus, ich hasse mich, so wie ich im Moment bin. Wenn es Dich wirklich gibt Jesus, dann komm in mein Leben und verwandele mich.“ Während dieses Gebets, so erzählte Shane Taylor, ist eine Kraft in ihm aufgestiegen. Der Pfarrer hat dann weiter für ihn gebetet und die Kraft stieg weiter in ihm auf, bis sie einen Punkt erreichte, an dem Shane Taylor in Tränen ausgebrochen ist und zu weinen begann. „Erzähl bloß keinem, dass ich hier im Alpha-Kurs geweint habe“, sagte er zu dem Pfarrer. „Keine Angst“, antwortete dieser. „Ich erzähle das nicht. - Du erzählst das selber!“ Zwei Tage später lief Shane Taylor mit einer Bibel in der Hand durchs Gefängnis und hat jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte erzählt, dass Jesus Christus real ist. Heute ist er ein freier Mann. Auf die Frage, welchen Unterschied Jesus in seinem Leben gemacht hat, antwortete er: „Alles. Ich wäre niemals aus dem Gefängnis rausgekommen. Ich hätte niemals eine Familie gegründet.“ Heute ist er verheiratet und Vater von vier Kindern. Er arbeitet für den William Wilberforce Trust und besucht Gefangene im Gefängnis.

Zum Glück stürzen nicht viele Menschen so tief ab, wie Shane Taylor abgestürzt war. Aber jeder Mensch macht in seinem leben Erfahrungen durch, in denen er alles andere als glänzend dasteht. Aber das muss nicht so bleiben. Der Ganz kann zurückkommen.

Als Jesus Christus geboren wurde, waren Hirten die ersten Menschen, die von seiner Geburt erfuhren. „Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Feld, die hüteten des Nachts ihre Herde,“ heißt es in der Bibel. „Und der Engel des Herrn trat zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Und sie fürchteten sich sehr.“ (Lukas 2, 8-9) Der Beruf des Hirten war damals kein besonders angesehener Beruf. Hirten kamen gewöhnlich aus der gesellschaftlichen Unterschicht. Und ausgerechnet diese hirten werden vom Glanz des Herrn umleuchtet. Was ist das, werden sie sich gefragt haben und fürchten sich. Als die Kraft in Shane Taylor aufstieg und einen bestimmten Punkt erreicht, begann er zu weinen. Die Begegnung mit Gott löst z.T. starke Emotionen aus. Deshalb sagt der Engel zu den Hirten: Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr.

Damals wurde Jesus Christus als Kind geboren, heute will er in uns bzw. unter uns geboren werden. Christus in euch, man kann auch übersetzen Christus unter euch, ist die Hoffnung auf den Glanz, heißt es im Kolosser 1,27. Wie geht das, dass Christus in uns oder unter uns geboren wird? Wie können wir etwas von seinem Glanz abhaben? Es ist sicher ein Geschenk und man kann es nicht herbeizwingen. Aber man kann sich darauf vorbereiten und günstige Voraussetzungen schaffen. Man kann in einen Glaubenskurs gehen, so wie das Shane Taylor gemacht hat. Man kann Gottesdienste besuchen. Nach dem GoSpecial an Pfingsten hat eine Schülerin auf den Rückmeldefragebogen draufgeschrieben, dass sie während des Gottesdienstes ein Gefühl hatte wie noch nie in ihrem Leben. Man kann intensiv beten, vielleicht mit anderen zusammen, vielleicht auf einer Freizeit. Jesus selber hat das mal gemacht mit drei seiner Jünger, mit Petrus, Jakobus und Johannes. Zu einem Zeitpunkt, als sie Jünger wohl etwas niedergeschlagen waren, hat er sozusagen eine Bergfreizeit mit ihnen durchgeführt. (Lukas 9,28-36) Jesus hat dann gebetet und er wurde verklärt. Seine Kleider begannen weiß zu glänzen. Petrus hat das so gut gefallen, dass er gar nicht mehr wegwollte. „Meister, hier ist es für uns gut sein“, heißt es in der Bibel. „Aber er wusste nicht, was er redete.“ Wir können die Erfahrungen des Glanzes leider nicht festhalten. Sie sind nur punktuell. Die Erfahrungen des Glanzes können aber hineinragen in den oftmals grauen Alltag. Die Erfahrungen des Glanzes können uns Kraft geben für den oftmals grauen Alltag. Wenn Weihnachten gut läuft, dann kann Weihnachten ein Fest des Glanzes sein, das Kraft gibt für den Alltag. Äußerlich ist Weihnachten das Fest des Glanzes schlechthin. Die Geschäfte sind geschmückt, viele Privathäuser sind geschmückt und in vielen Wohnzimmern steht ein Weihnachtsbaum. Aber dass auch unsere Seele zu glänzen beginnt, muss Weihnachten gut laufen. Weihnachten muss in dem Sinne gut laufen, dass unter den Menschen, mit denen wir zusammen Weihnachten feiern, Eindeutigkeit hergestellt werden kann. Eindeutigkeit, wie sie Gott mit der Geburt seines Sohnes Jesus Christus zur Welt und zu uns Menschen hergestellt hat: Ja, du bist geliebt, ja, du gehörst dazu, ja deine Existenz ist annehmbar für die anderen, auch wenn du nur ein Hirte bist und zur gesellschaftlichen Unterschicht gehörst. Wenn es uns gelingt diese Botschaft im Kreise der Menschen, mit denen wir Weihnachten feiern, spürbar zu machen, nicht nur, aber vielleicht auch durch Geschenke, dann kann eine Saite in unserer Seele zum Schwingen kommen, dann können wir zumindest eine Ahnung bekommen von dem von den Engeln verheißenen Weihnachtsfrieden (Lukas 2,14), dann können wir etwas erahnen von der Kraft, die in Shane Taylor hochstieg, dann können wir erahnen, dass es jenseits unserer materiellen Besitzwelt eine Dimension des Glanzes gibt, die höher ist als alle Vernunft. Amen.



[1] Die Idee für diese Predigt verdanke ich dem Buch von Christof Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt, Göttingen, 2. Aufl. 1995.

[2] Vgl. http://lc15.alpha.org/

[3] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=GlLD6ddWPXg und http://www.alpha.org/journal/stories/130